Dienstag, 6. Dezember 2011


Champions League: Bayer 04 Leverkusen - FC Chelsea (2:1)


Flutlichtatmosphäre in der Champions-League. An einem magischen Abend trifft die Werkself auf Chelsea. Ein emotionales Duell und ein wundersamer Unparteiischer. Am Ende ist ein Innenverteidiger der große Held. Eine Reportage.

Ächzend quält sich die Blechlawine Richtung Leverkusen. Die regennasse Autobahn ist dicht verstopft vom späten Feierabendverkehr und der miserablen Verkehrsführung. Nur noch 2 Stunden bis zum Anpfiff. Rhythmisch prasselt der Regen aufs Autodach, die Scheibenwischer surren im Takt. Im Inneren ist die Stimmung noch getrübt, das dürftige Vorankommen erstickt die Vorfreude. Nach einer gefühlten Ewigkeit entspannt sich die Verkehrslage ein wenig. Abfahrt Leverkusen, endlich! Doch in der Leverkusener Innenstadt gestaltet sich die Parkplatzsuche schwieriger als gedacht. Hätten wir bloß das offizielle „Park & Ride“ Angebot wahrgenommen – schon wieder Stau. Eine Stunde bis zum Anpfiff. Die Luft im Auto ist schwer, die Biervorräte sind aufgebraucht. „Klong“ mit einem metallischen Krachen schlägt die rot-weiße Schranke hoch – doch noch ein Parkplatz. Vorbei am Bahnhof stapfen wir durch die Parkanlage, Richtung Stadion. Der Park liegt dunkel dar, nur einige Polizeischeinwerfer erleuchten die Szenerie. Von den englischen Fans ist noch nichts zu sehen. Trotzdem ist die Polizeipräsenz an diesem Abend stark erhöht. Durch eine Absperrung schlängeln wir uns weiter in den Park. Hinter den Baumkronen liegt die Bayrena. Der starke Regen hat sie in eine Dunstglocke gehüllt. Das Flutlicht fängt sich im Nebel und das Stadion strahlt hell über dem dunklen Park.

Vor dem Stadion mehrt sich das Aufkommen an Fans merklich. Fanzines werden angeboten und ebenso die gängigen Spielschals. Obwohl die Zeit recht knapp ist entscheiden wir uns für einen kleinen Abstecher. Über eine kleine Brücke drängen wir uns auf den verstopften Gehweg. An der Ecke Bismarckstraße/ Am Stadtpark liegt unser Ziel, eine kleine „Fanoase“. Ein kleiner Wagen verkauft gekühltes Blondes in verschiedensten Varianten zu kleinen Preisen. Wir decken uns ein, während ein Fan neben uns fabuliert: „Der Ballack knallt denen heute eins rein.“ Dann kehren wir um und werden vom Fantross in Richtung Stadion getragen. Vor dem Stadion zieht eine Gruppe englischer Fans an uns vorbei und skandiert lautstark: „Chelsea, Chelsea!“. Leverkusener Fangesänge sind nur einzeln zu vernehmen, doch wer hätte auch etwas anderes erwartet. Langsam macht sich das Fußball-Fieber breit. Durch die Einlasskontrolle, die an diesem Abend ihrem Namen nicht verdient hat, drängen wir uns ins Stadion. Der Fanshop wird aufgesucht und eine Mischung aus Sammelleidenschaft und Lokalpatriotismus verleitet mich zum Kauf eines Fanschals. Eigentlich wollten wir schon längst in unseren roten Plastikschalen sitzen, doch der Duft des naheliegenden Grill ist zu verlockend. Kaum stehen wir in der langen Schlange, ertönt die „Champions-League-Hymne“ aus der Stadionboxen. Leichte Panik macht sich breit, den Anstoß wollen wir nun wahrlich nicht verpassen. Ohne Stadionwurst werden die steilen Außentreppen bezwungen. Oberrang Gegengerade, links hinter der Fankurve. Wir drängen uns in die Sitzreihe blicken aufs Grün und in diesem Moment betreten auch die beiden Teams die Wiese. Gleich geht es los, endlich Champions-League. Endlich Fußball.

Die Anfangsphase verläuft unerwartet. Die „Blues“ stehen tief in der eigenen Hälfte und Leverkusen drängt auf den Führungstreffer. Traumpass Castro, Kießling kann ihn nicht kontrollieren – herzlicher Applaus aus dem Langnese-Block. Trotz der Überlegenheit will Leverkusen kein Tor gelingen. Derweil scheint das Grün auf David Luiz eine besondere Anziehungskraft auszuüben – zum wiederholten Mal bleibt er lange liegen, nur um sich kurz danach hektisch winkend von der Außenlinie zurückzumelden. Apropos Hektik – der Schiedsrichter bringt eben diese so langsam ins Spiel. Schon wieder pfeift er Freistoß. Unverständnis bei Michael Ballack. Fragwürdige Entscheidung – drei Reihen vor uns fliegt der erste Bierbecher. Ecke Leverkusen, Castro führt aus, Ballack mit dem Kopf an die Latte. Friedrich will nachsetzen, Luiz mit dem Kopf auf Kniehöhe – der Schiedsrichter fällt drauf rein – hohes Bein. Mich reißt es zum ersten Mal aus der Sitzschale – Pfeifkonzert für den „Unparteiischen“. Den scheint das nicht zu interessieren, stattdessen zückt er reflexartig die gelbe Karte als Kießling sich beschwert. Leverkusen lässt sich irritieren und verliert die Ordnung. Drogba tanzt Leno aus doch der Winkel ist zu spitz. Auf den Ränge kippt mittlerweile die Stimmung, der Schiedsrichter macht sich hier wirklich keine Freunde. Terry schubst Ballack, der Pfiff bleibt aus und dann pfeift er auch noch auf Zuruf von Sturridge. Jetzt sitzt hier keiner mehr – gellende Pfiffe. Vor lauter Wut fehlen mir die Worte, meinem Sitznachbarn versagt währenddessen die Stimme. Pausenpfiff und der Schiedsrichter wird mit lauten „Schieber“ - Rufen in den Kabinengang geschickt.
Jetzt erstmal den Kopf frei bekommen, wir eilen zur Bierbude. Umgehend stellt sich die Erkenntnis ein, dass Champions-League-Bier stets alkoholfrei ist. Auf Gerstensaft muss also verzichtet werden, stattdessen eine Bratwurst für den leeren Magen. Kurz vor dem Anpfiff wieder zurück zu den Sitzplätze – die Stimmung ist immer noch gereizt. „Das der Hoyzer wieder pfeifen darf“, schreit mein Sitznachbar in Richtung Spielfeld.

Dort haben sich die Akteure wieder versammelt. Anstoß zur zweiten Halbzeit. Ich beiße nochmal genüsslich in die heiße Bratwurst, Drogba bekommt den Ball irgendwie im Strafraum, Toprak will partout nicht eingreifen – 0:1 für den englischen Hauptstadtclub. Der Appetit auf Bratwurst ist sogleich vergangen – so ein Mist. Jetzt bloß nicht gleich den zweiten Treffer fangen. Lampard zieht ab, doch Leno hält. Von Leverkusen kommt nicht viel. Rolfes stellt einen Fehlpassweltrekord auf und Castro sieht den freien Mitspieler nicht mehr. „Auf geht Leverkusen kämpfen und siegen!“, schwappt es nun aus der Fankurve auf die Gegengerade. Die Stimmung ist jetzt richtig gut, davon offenbar angestachelt wechselt Dutt offensiv. Und prompt wie aus dem Nichts die Riesenchance: Einwurf Leverkusen. Meireles verlängert unfreiwillig, filigraner Fallrückzier von Ballack und Cech lenkt ihn über Latte. Der Ärger über die vergebene Torchance hat sich noch nicht mal breit gemacht, da springen wir alle hoch. „TOOO“ doch das „R“ bleibt uns im Halse stecken. Unglaublich Cech hat ihn gehalten. Ernüchterung macht sich breit, die ersten Zuschauer verlassen schon das Stadion. „Friedrich freust du dich auf Weihnachten?“ entfleucht es einem Zuschauer in Anbetracht der Kerze die dem Innenverteidiger, beim Versuch zu klären, unterläuft. Unruhe ist im Spiel der Werkself. Es funktioniert nicht mehr viel. Leverkusen schleppt den Ball in der Abwehr quer über das Spielfeld, Castro versucht es mit einem langen Ball, Derdiyok kann ihn nicht stoppen und auf einmal liegt der Ball vor Sams Füßen. Cech muss raus kommen, Sam zaubert den Ball zurück zu Derdiyok und der köpft souverän ein. Ungläubig fallen wir uns in die Arme. Endlich der verdiente Ausgleich. Jetzt schreien, klatschen, brüllen wir – das Unentschieden muss gehalten werden. Das Sitzplastik kühlt mittlerweile aus, wir stehen nur noch. Die „Hinsetzten“- Rufe aus den hinteren Reihen werden gekonnt ignoriert, schließlich singt jetzt jeder „Steht auf, wenn ihr für Bayer seid“. Währenddessen fällt Drogba, nach eisenharter Grätsche von Bender, das Ganze im Strafraum. Kurze Irritation, doch Schiedsrichter Kassai scheint den letzten Augenarzttermin nicht wahrgenommen zu haben. Hier hofft jetzt jeder auf den Schlusspfiff – nur nicht nochmal in Rückstand kommen. Das große Zittern hat begonnen. Noch fünf Minuten. Das Flutlicht strahlt nun irgendwie noch heller, der Rasen leuchtet uns ganz grün entgegen. Fast wie zwei Stunden zuvor auf der Anfahrt vergeht die Zeit nun elend langsam. „Kommt schon, kommt schon!“ krakeele ich mit heißerer Stimme. Links und rechts verschwindet alles, nur noch das Spielfeld ist klar. Blick auf die Anzeigetafel, die letzten Sekunden der regulären Spielzeit – die Fingernägel schmerzen schon. Noch 2 Minuten Nachspielzeit - Castro holt nochmal die Ecke raus, der Ball ist weit weg vom eigenen Tor, gut so! Kraftvoll tritt er den Ball in den Strafraum, Friedrich steigt empor und drückt ihn Richtung Winkel, Cech verschätzt sich, die Murmel ist drin – „JAAAAAAAAA!!“. Völlige Ekstase, Wildfremde fallen sich in die Arme. Dann der Schlusspfiff, das Stadion kocht – völlig erschöpft und ohne Stimme blicke ich auf den Rasen, was für ein Abend!

von Mattias Jahn

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