Posts mit dem Label ZL-Serie: Stadionluft werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label ZL-Serie: Stadionluft werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 9. April 2012


Regionalliga West: Rot-Weiß Essen - 1.FC Köln II (3:4)

Fußball in der vierten Liga. Hier gibt es vor dem Anpfiff keine „Krüger Kaffe-T-Shirt-Kanonen“ und in der Halbzeit keine „REWE-Fanbox“. Hier wird der Spielstand noch per Hand an den Nagel gehangen. Genau hier, im tiefsten Ruhrgebiet, trafen sich zwei große Namen zu einem der letzten Spiele im altehrwürdigen Georg-Melches-Stadion.

Köln Hauptbahnhof. Schwarz-Gelb wohin man blickt. Auch auf Gleis 4 ist alles in die Farben des Deutschen Meisters getaucht. Eine Menge in feucht-fröhlicher Erwartung auf den Regionalexpress ins Ruhrgebiet. Wir gesellen uns dazu, als plötzlich das Unfassbare geschieht. Hinter uns tauchen zwei Herren fortgeschrittenen Alters auf. Sie tragen blaue Kaputzenpullis. Auf der Brust prangen vier große Zahlen: 1899. „Fans“ der Sinsheimer Mannschaft! Hier in Köln! Der Wahnsinn!

Der Zug fährt ein und wir setzen uns in ein Viererabteil mit einem stark schalbehangenen Dortmund-Anhänger. Jener verbringt die ersten 30 Minuten der Fahrt damit, sich über seinen Mobilfunkanbieter zu echauffieren, da er zwischen Köln-Mühlheim und Düsseldorf Hauptbahnhof offenbar kein Netz hat. Skandal! Er beruhigt sich erst wieder, als sein Bekannter dazu steigt. Neben unserer Diskussion über die Qualitäten von Bundesligaspielern mit der Rückennummer 2, sind wir einfach gezwungen ein Ohr dem netzlosen Schal-Borussen zu schenken: „Es hat einfach keinen Sinn mehr gemacht mit uns beiden. Wenn sie kein Alkohol trinkt und sich nicht für Fußball interessiert ist das doch auch aussichtslos oder?“ Auf jeden Fall – Prost!

Essen Hauptbahnhof. Uns fällt gerade noch rechtzeitig ein, dass wir ja gar nicht auf dem Weg zum BVB sind. Wir steigen aus. Mit uns noch zwei Anzugträger und eine junge Dame mit Rollkoffer. Fußballfans? Fehlanzeige! Gut, wir haben auch erst 12.58 Uhr. Schöner Bahnhof, sehr modern! Etwas planlos verlassen wir das Bahnhofsgebäude und hätten um ein Haar einen Personenschaden durch eine tieffliegende Taube zu beklagen gehabt. Ein älterer Mann, dem Anschein nach ein Essener Urgestein, hat Mitleid mit uns Auswärtigen und weist uns den Weg zum Stadion. „Rot-Weiß? Na da müssta de 166 drüben nehmen!“ Sehr gut! Erster Eindruck von Essen: Modern und freundlich.

Wir sitzen in der 166. Zwei Plätze weiter ein junger Mann im RWE-Trainingsanzug und einer Sporttasche der Ausführung frühjugendlicher Turnbeutel. Die Mütze im Gesicht und die Kopfhörer an der Ohrmuschel. Es könnte glatt der jüngere Bruder von Mesut Özil sein. Da wir keinen einzigen Spieler von Essen kennen, spaßen wir: „Das ist mit Sicherheit ein Spieler von Rot-Weiß! Machen wir ein Foto?“ Wir tun es natürlich nicht. Nach wenigen Minuten taucht der erste Flutlichtmast auf, kurz darauf erblicken wir das Stadion. Ein wohliges Gefühl. Keine hochmoderne Arena mit leuchtenden Lettern eines Sponsors. Nein, ein kleines, in die Jahre gekommenes Fußballstadion. Herrlich! Das macht Lust auf Fußball! Station Hafenstraße. Wir steigen aus.

Jetzt nur noch vorbei a
n einem mehr oder minder seriösen Gebrauchtwagenhändler und wir stehen vor dem Georg-Melches-Stadion, ehemals "Stadion an der Hafenstraße". Großartig! Doch was stört sind Baukräne im Hintergrund. Hier entsteht das neue Stadion der Essener. Größer und moderner wird es wohl werden. Nun ja! Man geht halt auch in Essen mit der Zeit. Bei einem Straßenverkäufer erwerben wir das aktuelle Stadionheft „Kurze Fuffzehn“ und gehen auf eine letzte Stärkung in den Schnellimbiss in Stadionnähe. Bei einem Pils und Currywurst Pommes erblicken wir im Heft den kleinen Özil aus dem Bus. Er ist tatsächlich Spieler bei Rot Weiß Essen und wird in Fachkreisen bereits als Nachwuchshoffnung bei RWE gehandelt. Na toll! Hätten wir doch bloß das Foto gemacht. Wir schieben uns gegenseitig die Schuld zu, wie Nowotny und Ramelow in besten Nationalmannschaftszeiten die Lederkugel beim Stande von 0:0. Ein Weg-Bier noch und dann geht’s auf ins Stadion.

Es ist ein eiskalter Januar-Nachmittag. Wir erklimmen die steinernen Stufen der Stehplatztribüne Ost. Als neutrale Fans positionieren wir uns etwas oberhalb. Der Stadionsprecher verliest durch eine kranzende Lautsprecheranlage die Aufstellung der beiden Mannschaften und wir schlagen fleißig in der „Kurzen Fuffzehn“ nach. Die erste Halbzeit ist mühselig anzusehen. Spieler und Fans scheinen gleichsam eingefroren zu sein. Die spannendste Szene spielte sich hinter dem Stadion ab. Der Baukran hebt einen Stahlträger für die Dachkonstruktion des neuen Stadions an. Faszinierendes Schauspiel! Dann doch noch das 0:1 für die Kölner. Man hätte es nicht für möglich gehalten. Der bis hierhin beste Mann auf dem Feld, RWE-Keeper Dennis Lamczyk, klärt eine Flanke mit der Faust an den Rücken seines Mitspielers und von dort springt er dem Kölner Angreifer direkt vor den Schlappen. Wir sind uns einig: Anders hätte hier auch kein Tor fallen können.

Wir überlegen ernsthaft uns einen Glühwein zur Stadionwurst zu holen, entscheiden uns dann aber doch für ein kühles Blondes in noch kühleren 15 Minuten Halbzeitpause. Brrrrrr. Einzig und allein im Rauch des Grills an der Wurstbude können wir es aushalten. Auf dem Weg zurück ins Stadion sind wir dem Architekten dankbar über jede Stufe, welche unsere Körper-temperatur wenigstens um ein bis zwei Grad ansteigen lässt. Zweite Halbzeit. Das Spiel nimmt Fahrt auf und die Gastgeber drücken. Ecke RWE, 1:1. Das Georg-Melches-Stadion erwacht aus der Eisstarre. Nun ist es ein Fußballspiel. Chance über Chance für Essen und ein Elfmeter in der 59. Minute. Brauer eiskalt zum 2:1. Eiskalt ist das Stichwort. So kalt ist es gar nicht mehr. Es kommt Bewegung auf die Osttribüne und die Stimmung wird immer besser. Spätestens nach dem 3:1 drei Minuten später befinden wir uns mitten in der jubelnden Menge vor dem Zaun. „Wir werden Essen niemals vergessen, wir sind die Fans von Rot-Weiß Essen!“ heißt es in Dauerschleife. Drei Tore in zwölf Minuten. RWE ist heiß und das Spiel in sicherer Hand.

Im Hintergrund greift der Baukran erneut nach einem Stahlträger. Die neue RWE-Heimspielstätte sieht mächtig aus. Besitzt aber nicht den Charme des alten Stadions, in dem der FC in diesem Moment einen Elfmeter zum 3:2-Anschluss verwandelt. „Wird’s etwa doch noch einmal spannend?“, würde jetzt wohl Fritz von Thurn und Taxis ins Mikrofon hauchen. Aber hier in Essen scheint schon aufgrund der frostigen Temperaturen nichts mehr anzubrennen. Die RWE-Akteure schieben die Kugel sicher über das kalte Geläuf. Bis zur 78. Minute. Dann schreibt der Fußball wieder eine jener Geschichten, die über Jahre hinweg in der Fan-Kneipe nacherzählt werden. Elfmeter Köln, Bisanovic läuft an und RWE-Keeper Dennis Lamczyk kann parieren. Die Atmosphäre ist trotz der Minus 10 Grad nun auf dem Siedepunkt. Essen schwimmt, Flanke kommt an den zweiten Pfosten, wo FC-Stürmer Lucas Musculus nur noch einschieben muss. 3:3. Jetzt wechselt FC-Coach Dirk Lottner in der 86. Minute Stefan Thelen ein. RWE spielt auf Sieg und eröffnet den Kölnern die Konterchance, welche der gerade eingewechselte Thelen mit einem kunstvollen Heber in die Maschen vollendet. Der Torschütze sprintet gleich durch zu Lottner und in etwa derselben Geschwindigkeit schießt ein gefüllter Stadionbecher an uns vorbei. 3:4 in der 89. Was ist denn hier los? Der absolute Wahnsinn! Zwei Minuten Nachspielzeit. Ecke RWE. Der beste Mann des Tages (neben dem Baukran-Fahrer), Dennis Lamczyk, stürmt in den Strafraum und Köpf das Ding dreieinhalb Zentimeter über die Latte. 5000 Mann schlagen die Hände vors Gesicht. Es ist mucksmäuschenstill im Stadion. Dann der Abpfiff. Sowas hatte hier auch noch keiner gesehen. Was eine Schlussphase! Rot-Weiß Essen unterliegt den Kölner Amateuren mit 3:4 nach einer 3:1-Führung. Irgendwie will noch keiner so recht gehen. Selbst der Baukran steht still.

Schließlich reihen wir uns doch ein in die Menge die gen Bushaltestelle strömt. Betretenes Schweigen. Oder ist es doch ein Staunen? Ein Staunen über ein Fußballspiel, welches Spuren in der Fußballerseele eines jeden RWE-Fans zurücklassen dürfte. Am Straßenrand finden wir eine achtlos weggeworfene Eintrittskarte. Eine Schande! So etwas behält man doch! Das alt-ehrwürdige Georg-Melches-Stadion ziert das Beweisstück für den heutigen Nachmitttag. Darunter: „Abschied von Ruinen“. Wir sagen: Lebe wohl!

von Jonas Docter

Dienstag, 6. Dezember 2011


Champions League: Bayer 04 Leverkusen - FC Chelsea (2:1)


Flutlichtatmosphäre in der Champions-League. An einem magischen Abend trifft die Werkself auf Chelsea. Ein emotionales Duell und ein wundersamer Unparteiischer. Am Ende ist ein Innenverteidiger der große Held. Eine Reportage.

Ächzend quält sich die Blechlawine Richtung Leverkusen. Die regennasse Autobahn ist dicht verstopft vom späten Feierabendverkehr und der miserablen Verkehrsführung. Nur noch 2 Stunden bis zum Anpfiff. Rhythmisch prasselt der Regen aufs Autodach, die Scheibenwischer surren im Takt. Im Inneren ist die Stimmung noch getrübt, das dürftige Vorankommen erstickt die Vorfreude. Nach einer gefühlten Ewigkeit entspannt sich die Verkehrslage ein wenig. Abfahrt Leverkusen, endlich! Doch in der Leverkusener Innenstadt gestaltet sich die Parkplatzsuche schwieriger als gedacht. Hätten wir bloß das offizielle „Park & Ride“ Angebot wahrgenommen – schon wieder Stau. Eine Stunde bis zum Anpfiff. Die Luft im Auto ist schwer, die Biervorräte sind aufgebraucht. „Klong“ mit einem metallischen Krachen schlägt die rot-weiße Schranke hoch – doch noch ein Parkplatz. Vorbei am Bahnhof stapfen wir durch die Parkanlage, Richtung Stadion. Der Park liegt dunkel dar, nur einige Polizeischeinwerfer erleuchten die Szenerie. Von den englischen Fans ist noch nichts zu sehen. Trotzdem ist die Polizeipräsenz an diesem Abend stark erhöht. Durch eine Absperrung schlängeln wir uns weiter in den Park. Hinter den Baumkronen liegt die Bayrena. Der starke Regen hat sie in eine Dunstglocke gehüllt. Das Flutlicht fängt sich im Nebel und das Stadion strahlt hell über dem dunklen Park.

Vor dem Stadion mehrt sich das Aufkommen an Fans merklich. Fanzines werden angeboten und ebenso die gängigen Spielschals. Obwohl die Zeit recht knapp ist entscheiden wir uns für einen kleinen Abstecher. Über eine kleine Brücke drängen wir uns auf den verstopften Gehweg. An der Ecke Bismarckstraße/ Am Stadtpark liegt unser Ziel, eine kleine „Fanoase“. Ein kleiner Wagen verkauft gekühltes Blondes in verschiedensten Varianten zu kleinen Preisen. Wir decken uns ein, während ein Fan neben uns fabuliert: „Der Ballack knallt denen heute eins rein.“ Dann kehren wir um und werden vom Fantross in Richtung Stadion getragen. Vor dem Stadion zieht eine Gruppe englischer Fans an uns vorbei und skandiert lautstark: „Chelsea, Chelsea!“. Leverkusener Fangesänge sind nur einzeln zu vernehmen, doch wer hätte auch etwas anderes erwartet. Langsam macht sich das Fußball-Fieber breit. Durch die Einlasskontrolle, die an diesem Abend ihrem Namen nicht verdient hat, drängen wir uns ins Stadion. Der Fanshop wird aufgesucht und eine Mischung aus Sammelleidenschaft und Lokalpatriotismus verleitet mich zum Kauf eines Fanschals. Eigentlich wollten wir schon längst in unseren roten Plastikschalen sitzen, doch der Duft des naheliegenden Grill ist zu verlockend. Kaum stehen wir in der langen Schlange, ertönt die „Champions-League-Hymne“ aus der Stadionboxen. Leichte Panik macht sich breit, den Anstoß wollen wir nun wahrlich nicht verpassen. Ohne Stadionwurst werden die steilen Außentreppen bezwungen. Oberrang Gegengerade, links hinter der Fankurve. Wir drängen uns in die Sitzreihe blicken aufs Grün und in diesem Moment betreten auch die beiden Teams die Wiese. Gleich geht es los, endlich Champions-League. Endlich Fußball.

Die Anfangsphase verläuft unerwartet. Die „Blues“ stehen tief in der eigenen Hälfte und Leverkusen drängt auf den Führungstreffer. Traumpass Castro, Kießling kann ihn nicht kontrollieren – herzlicher Applaus aus dem Langnese-Block. Trotz der Überlegenheit will Leverkusen kein Tor gelingen. Derweil scheint das Grün auf David Luiz eine besondere Anziehungskraft auszuüben – zum wiederholten Mal bleibt er lange liegen, nur um sich kurz danach hektisch winkend von der Außenlinie zurückzumelden. Apropos Hektik – der Schiedsrichter bringt eben diese so langsam ins Spiel. Schon wieder pfeift er Freistoß. Unverständnis bei Michael Ballack. Fragwürdige Entscheidung – drei Reihen vor uns fliegt der erste Bierbecher. Ecke Leverkusen, Castro führt aus, Ballack mit dem Kopf an die Latte. Friedrich will nachsetzen, Luiz mit dem Kopf auf Kniehöhe – der Schiedsrichter fällt drauf rein – hohes Bein. Mich reißt es zum ersten Mal aus der Sitzschale – Pfeifkonzert für den „Unparteiischen“. Den scheint das nicht zu interessieren, stattdessen zückt er reflexartig die gelbe Karte als Kießling sich beschwert. Leverkusen lässt sich irritieren und verliert die Ordnung. Drogba tanzt Leno aus doch der Winkel ist zu spitz. Auf den Ränge kippt mittlerweile die Stimmung, der Schiedsrichter macht sich hier wirklich keine Freunde. Terry schubst Ballack, der Pfiff bleibt aus und dann pfeift er auch noch auf Zuruf von Sturridge. Jetzt sitzt hier keiner mehr – gellende Pfiffe. Vor lauter Wut fehlen mir die Worte, meinem Sitznachbarn versagt währenddessen die Stimme. Pausenpfiff und der Schiedsrichter wird mit lauten „Schieber“ - Rufen in den Kabinengang geschickt.
Jetzt erstmal den Kopf frei bekommen, wir eilen zur Bierbude. Umgehend stellt sich die Erkenntnis ein, dass Champions-League-Bier stets alkoholfrei ist. Auf Gerstensaft muss also verzichtet werden, stattdessen eine Bratwurst für den leeren Magen. Kurz vor dem Anpfiff wieder zurück zu den Sitzplätze – die Stimmung ist immer noch gereizt. „Das der Hoyzer wieder pfeifen darf“, schreit mein Sitznachbar in Richtung Spielfeld.

Dort haben sich die Akteure wieder versammelt. Anstoß zur zweiten Halbzeit. Ich beiße nochmal genüsslich in die heiße Bratwurst, Drogba bekommt den Ball irgendwie im Strafraum, Toprak will partout nicht eingreifen – 0:1 für den englischen Hauptstadtclub. Der Appetit auf Bratwurst ist sogleich vergangen – so ein Mist. Jetzt bloß nicht gleich den zweiten Treffer fangen. Lampard zieht ab, doch Leno hält. Von Leverkusen kommt nicht viel. Rolfes stellt einen Fehlpassweltrekord auf und Castro sieht den freien Mitspieler nicht mehr. „Auf geht Leverkusen kämpfen und siegen!“, schwappt es nun aus der Fankurve auf die Gegengerade. Die Stimmung ist jetzt richtig gut, davon offenbar angestachelt wechselt Dutt offensiv. Und prompt wie aus dem Nichts die Riesenchance: Einwurf Leverkusen. Meireles verlängert unfreiwillig, filigraner Fallrückzier von Ballack und Cech lenkt ihn über Latte. Der Ärger über die vergebene Torchance hat sich noch nicht mal breit gemacht, da springen wir alle hoch. „TOOO“ doch das „R“ bleibt uns im Halse stecken. Unglaublich Cech hat ihn gehalten. Ernüchterung macht sich breit, die ersten Zuschauer verlassen schon das Stadion. „Friedrich freust du dich auf Weihnachten?“ entfleucht es einem Zuschauer in Anbetracht der Kerze die dem Innenverteidiger, beim Versuch zu klären, unterläuft. Unruhe ist im Spiel der Werkself. Es funktioniert nicht mehr viel. Leverkusen schleppt den Ball in der Abwehr quer über das Spielfeld, Castro versucht es mit einem langen Ball, Derdiyok kann ihn nicht stoppen und auf einmal liegt der Ball vor Sams Füßen. Cech muss raus kommen, Sam zaubert den Ball zurück zu Derdiyok und der köpft souverän ein. Ungläubig fallen wir uns in die Arme. Endlich der verdiente Ausgleich. Jetzt schreien, klatschen, brüllen wir – das Unentschieden muss gehalten werden. Das Sitzplastik kühlt mittlerweile aus, wir stehen nur noch. Die „Hinsetzten“- Rufe aus den hinteren Reihen werden gekonnt ignoriert, schließlich singt jetzt jeder „Steht auf, wenn ihr für Bayer seid“. Währenddessen fällt Drogba, nach eisenharter Grätsche von Bender, das Ganze im Strafraum. Kurze Irritation, doch Schiedsrichter Kassai scheint den letzten Augenarzttermin nicht wahrgenommen zu haben. Hier hofft jetzt jeder auf den Schlusspfiff – nur nicht nochmal in Rückstand kommen. Das große Zittern hat begonnen. Noch fünf Minuten. Das Flutlicht strahlt nun irgendwie noch heller, der Rasen leuchtet uns ganz grün entgegen. Fast wie zwei Stunden zuvor auf der Anfahrt vergeht die Zeit nun elend langsam. „Kommt schon, kommt schon!“ krakeele ich mit heißerer Stimme. Links und rechts verschwindet alles, nur noch das Spielfeld ist klar. Blick auf die Anzeigetafel, die letzten Sekunden der regulären Spielzeit – die Fingernägel schmerzen schon. Noch 2 Minuten Nachspielzeit - Castro holt nochmal die Ecke raus, der Ball ist weit weg vom eigenen Tor, gut so! Kraftvoll tritt er den Ball in den Strafraum, Friedrich steigt empor und drückt ihn Richtung Winkel, Cech verschätzt sich, die Murmel ist drin – „JAAAAAAAAA!!“. Völlige Ekstase, Wildfremde fallen sich in die Arme. Dann der Schlusspfiff, das Stadion kocht – völlig erschöpft und ohne Stimme blicke ich auf den Rasen, was für ein Abend!

von Mattias Jahn

Freitag, 2. Dezember 2011


Fußball Bundesliga:
1.FC Köln - Borussia Mönchengladbach (0:3);
Borussia Dortmund - FC Schalke 04 (2:0)

Zwei absolute Klassiker innerhalb von 19 Stunden. Ein Rheinisches Derby auf Kölner Gourmet-Plätzen und das Revierderby in unmittelbarer Nähe zur Gelben Wand. Zwei völlig unterschiedliche Derbys und zwei völlig unterschiedliche Fußballerlebnisse. Eine Reportage.

Freitag, 25.November, 17:30 Uhr (1.FC Köln – Borussia Mönchengladbach)

Abfahrt Richtung Müngersdorf. Mit dem Auto. Wir lassen den Bahnhof links liegen und reihen uns ein in die Blechkolonne in der Kölner Innenstadt. Unmittelbar neben der Bahn. Ein neues Gefühl. Im Radio läuft Coldplay und tönt hinweg über das Martinshorn der zahlreichen Polizeiwagen und die Fangesänge der FC-Anhänger am Alten Militärring. Ich trinke einen Energy-Drink. Im VIP-Ticket mit inbegriffen, ein Ausweis für das Parkhaus in unmittelbarer Nähe zum Stadion. Wie angenehm! Vor uns ein laut röhrender Aston Martin, hinter uns ein schwerer Mercedes. Wir fahren einen Polo. Ich öffne die Beifahrertür, die bis jetzt nahezu schalldicht anmutete, und vernehme, wo wir sind. Beim Derby! Dem Derby am Rhein. Die legendäre Schlacht zwischen Geißböcken und Fohlen. Unterhalb von uns bewegt sich ein roter Strom in Richtung Stadion. „Und wir schmeißen Stein auf Stein, auf die Elf vom Niederrhein…“. Wir verlassen die Herde von Mantelträgern aus dem Parkhaus und schließen uns an. Die Wiese vor dem Stadion ist bereits heller erleuchtet als das Grün im Stadion. Die Polizei hat sich mit Absperrgittern und hunderten Mannschaftswagen auf die Ankunft der Gladbacher vorbereitet. Derbystimmung kommt auf! Wir betreten das Stadion und werden persönlich willkommen geheißen und in die Loge geführt. Mahlzeit!

Samstag, 26. November, 13:15 Uhr (Borussia Dortmund – FC Schalke 04)

Zu Fuß geht es zur Straßenbahnhaltestelle. Überall in der Stadt hängen schwarz-gelben Fahnen aus den Fenstern. Mit Kleidung anderer Farbkombination gehört man heute definitiv zur Minderheit. Eine Stadt im Derby-Fieber! Mit uns betreten zwei Schalke-Anhänger die Bahn und sehen sich einer, mehr oder minder freundlichen, Begrüßungsarie ausgesetzt. „Wir wollen keine blau-weißen Parasiten. Schwarz-gelb ist der Ruhrpott!“. Es bleibt friedlich. Fachlich fundierte Fachsimpelei auf Seiten der Dortmunder. Thema: Die Formation des geliebten Ballspielvereins Borussia oder die Alternative für Kevin Großkreutz auf der rechten Außenbahn. Naja, Kloppo wird’s schon machen! Ein Großteil steigt am Stadion aus. Wir fahren noch einen Halt weiter. Kurze Stärkung in fester Form und dann auf in die Borussen-Kneipe „Bürgermeister Lindemann“. Auf den Bildschirmen läuft die 2.Liga-Konferenz, doch das interessiert hier niemanden. Die Stimmung ist eine Klasse für sich. Wer jetzt noch nicht weiß, dass Derby-Zeit ist, der lebt hinter dem Mond. Beziehungsweise außerhalb des Ruhrgebiets. Gänsehaut! Zu Fuß sind es nur noch ein paar hundert Meter zum Stadion. Über den Walk of fame des BVB. Wir betreten unseren Block und stehen direkt vor ihr. Der Dortmunder Südtribüne. Der legendären Gelben Wand. Noch nie habe ich eine imposantere Tribüne gesehen. Gigantisch!

Freitag, 25. November, 19:00 Uhr (1.FC Köln – Borussia Mönchengladbach)

Eineinhalb Stunden vor Anpfiff. Die roten Stadionschalen außerhalb unserer glasverkleideten Loge füllen sich langsam. Was man von der Schlange am Buffet nicht behaupten kann. „Schnitzel vom Schweinelachs mit Waldpilzsauce, dazu Gratinkartoffeln und Prinzessbohnen in Kräuterbutter.“ Großartig! Wir bestücken unsere Teller und suchen uns einen Tisch. Schwierig! Alle freien Tische waren den Sponsoren des Vereins vorenthalten. Bleibt uns nur ein Stehtisch im Eingangsbereich. Unmittelbar neben einer weißen Leinwand, vor der sich Besucher in gewünschter Pose ablichten lassen können. Die Stadionatmosphäre vermisse ich. An den Tischen sitzen Damen und Herren in angeregter Konversation miteinander. Teilweise gekleidet mit einem Schal. Hier und da ein Trikot. Wir stellen uns ein zweites Mal am Buffet an und bekommen nur dank der großen Flachbildschirme mit, dass die Mannschaften den Rasen betreten. Stimmung in der Loge? Fehlanzeige! Es schmeckt wohl zu gut. Dies ändert sich dann ein wenig, als FC-Spieler Petit den Raum betritt und gut gelaunt Autogrammwünsche erfüllt. In der Spitze zählte die Schlange vor seinem Tisch zehn Personen. Der Rest speiste. 15 Minuten vor Anpfiff nehmen wir unsere Plätze im Stadion ein. Bequem gepolstert. Direkt neben dem Gästeblock, in dem tausende Gladbacher Schlachtenbummler bereits ordentlich für Alarm sorgen. Endlich! Stimmung! Die Logenplätze um uns herum sind noch leer. Vermutlich, weil es ja auch noch fünf Minuten bis zum Anpfiff sind. Ich begrüße meine Sitznachbarin und sie blickt verwundert auf meine leeren Hände. „Sie wissen schon, dass Sie sich hier Bier, Kaffe, Chips und Eis mit raus nehmen dürfen!?“ Ich nicke selbstverständlich, um nicht als VIP-Neuling enttarnt zu werden. Dann endlich erklingt die FC-Hymne. Die Loge ist voll. Der Gladbacher Anhang zündet eine gehörige Menge Pyrotechnik und hüllt die komplette Nordtribüne in einen dichten Nebel. Man mag dazu stehen wie man will, aber bei mir kommt endlich Derbystimmung auf! Gänsehaut! „Come on FC!“.

Samstag, 26. November, 15:15 Uhr (Borussia Dortmund – FC Schalke 04)

Die Atmosphäre ist überragend! Fast 75 000 schwarz-gelbe Fans feiern ihren verletzten Sven Bender. Das Blau im Stadion ist noch sehr überschaubar. Zaunfahnen werden aufgehangen und die Stimmbänder eingesungen. Vergeblich, denn vor der Südtribüne präsentiert BVB-Idol Nobby Dickel die Mannschaftsaufstellung. Ein Höllenlärm! Barrios und Kuba in der Startelf, dafür Shinji und Großkreutz auf der Bank. Alles klar! Überraschungstaktik! Dann laufen die Mannschaften ein. „Heja BVB!“ Überwältigend! Wen das kalt lässt, der liebt dieses Spiel nicht! Obwohl wir Sitzplätze haben, sitzt im Block Süd-West 38 niemand. „Ich habe die ganze Saison noch nicht eine Minute gesessen!“, heißt es. Der BVB ist dominant. Freistoß Schmelzer von rechts, Lewandowski mit dem Kopf und dann muss das Leder wohl drin gewesen sein. Anders kann ich mir die gefühlten fünf Liter Bier auf meiner Jacke und den Plastikbecher an meinem Hinterkopf nicht erklären. Ich bleibe standhaft, bin ja schließlich kein Linienrichter. Das Stadion kocht. Wir liegen uns in den Armen. 1:0 Dortmund.

Freitag, 25. November, 20:30 Uhr (1.FC Köln – Borussia Mönchengladbach)

Der Nebel ist allmählich verzogen und ein längeres Stehenbleiben als unbedingt notwendig, wird mit einem stumpfen „Hinsetzen!“ quittiert. Verstanden! Die Kölner beginnen schwach. Nach 70 Sekunden ist Rensing das erste Mal gefordert. Glanzparade! „1.Fußballklub Köln…“ schwappt von der Südtribüne zu uns herüber und wird hier verhalten mitgesummt. Viel interessanter finden die Besucher eine pantomimische Darbietung zweier Fans, die sich anscheinend gegenseitig gerne die Köpfe abschneiden würden. Bis Hanke dann das 0:1 für Gladbach macht. Freude und Ernüchterung, aber wenigstens ist der Kopf noch dran. Dann schnappt sich Arrango die Kugel zum Freistoß. 0:2! Karneval in schwarz-grün. Der Mob tobt. „Die Nummer eins am Rhein sind wir!“. Neben uns verlässt man bereits jetzt die Plätze um sich dem Gaumenschmaus im Inneren zu widmen. Nach dem Pfiff des Schiedsrichters und einiger Hobby-Schiedsrichter auf den Rängen, schließen wir uns an. Kölsch und Currywurst. Herrlich! Jedoch nicht ganz stilecht im Porzellanschälchen. Trotzdem gut! Ein zweites Kölsch geht noch, dann laufen die Mannschaften wieder ein. Einen Großteil scheint das aber nicht zu interessieren. Es wird seelenruhig weitergegessen. Für einen Moment spiele ich mit dem Gedanken mir ein Eis zu holen. „Ach komm, was soll‘s. Bist ja heute VIP!“ Ich nehme die Karamell-Variante und prompt verpassen wir den Anpfiff. Noch auf der Treppe sehen wir wie Hanke zum 0:3 einschiebt. Was ist denn hier los? Die Motivation der Kölner Spieler scheint heute ähnlich zu sein, wie die der VIPs. Denn erst in der 50. Minute hat auch der Letzte seinen inneren Schweinehund überreden können und begibt sich wieder in die Kälte. Und das bei einem Derby!

Samstag, 26. November, 16:05 Uhr (Borussia Dortmund – FC Schalke 04)

Unnerstall, Unnerstall, immer wieder Unnerstall. Einzig der Gästekeeper verhindert einen weiteren Becherhagel. Neben uns stürzt ein Fan. Die steile Treppe hat anscheinend durch einen gleichmäßigen Bierfilm etwas an ihrer Griffigkeit eingebüßt. Obacht! In der Halbzeitpause muss man sich entscheiden. Bier oder Toilette? Wir stellen uns gut gelaunt an Letzterer an und wäre das Bierfass nicht leer gewesen, hätten wir sogar noch das geschafft. Naja. Die Drangphase der Knappen sehen wir in den Katakomben. Dann Eile! Rechtzeitig zur Bierdusche sind wir wieder auf unseren Plätzen. Hummels mutterseelenallein vor Unnerstall, legt per Kopf quer, Barrios vergibt, doch Santana trifft im Nachschuss. 2:0. Die Entscheidung! Jetzt gibt es kein Halten mehr. „Derbysieger, Derbysieger!“. So etwas muss jeder Fußballfan mal erlebt haben! Einzigartig! Kurz vor Schluss kommt dann noch Publikumsliebling Kevin Großkreutz. Das Stadion feiert. Auf der anderen Seite gelingt es nur noch den Fans mit einer Pyroshow einen Akzent zu setzen. Enttäuschende Leistung der Blauen. Uns war es recht. Nach dem Abpfiff klettert die komplette Dortmunder Mannschaft auf den Zaun vor der gelben Wand und lässt sich feiern. „Deutscher Meister ist nur der BVB!“. Das muss es sein, wofür man als Fußballer lebt. Unbeschreiblich! Ein geiles Derby!

Freitag, 25. November, 21:55 Uhr (1.FC Köln – Borussia Mönchengladbach)

Gladbach nimmt ein wenig Tempo raus. Die Fans nicht. Sie feiern sich und ihre Mannschaft. Und vor allem Marco Reus! Die Kölner Anhänger verlassen bereits jetzt in Scharen das Stadion. Die Höchststrafe für die Mannschaft. 15 Derby-Minuten vor halbleeren Rängen. Eine Schmach! Es passiert nicht mehr viel. Selten hat der Abpfiff dem Kölner Spiel so gut getan wie heute. Die Spieler nähern sich vorsichtig, mit gesenktem Haupt der Südtribüne, doch werden relativ rasch von einem gellenden Pfeifkonzert in die Flucht geschlagen. Wieder eine Derby-Niederlage zuhause! Wir bleiben noch eine Weile und schauen den Gladbachern beim Feiern zu. Dann wird es zu kalt. Drinnen wird das Buffet ein drittes Mal eröffnet. Der ein oder andere hat scheinbar Hunger wie vor dem ersten Mal und lädt sich seinen Teller mutig voll. Wir schauen uns die Interviews im TV an. FC-Coach Solbakken nennt das ausgefallene Spiel gegen Mainz als ein Grund für die Niederlage und der Kölner Stadionreporter fragt den gelbgesperrten Martin Lanig, wann er denn wieder einsatzfähig wäre. Ohne Worte! Aber das passt ja zur Leistung des FC an diesem Abend. Ein enttäuschendes Derby!

von Jonas Docter