Montag, 30. Januar 2012

Viel Last auf jungen Schultern

Der deutsche Fußball zwischen den großen Turnieren 2010 und 2012: Eine technisch und taktisch hochklassige Mannschaft spielt die beste EM-Qualifikation aller Zeiten. Die Mannschaft ist jung und talentiert. Vielleicht die besten Spieler, die Deutschland je hatte - eine „Goldene Generation“?

Der deutsche Fußball befindet sich momentan in einer absoluten Hochphase. Abzulesen ist dies zum einen am Stellenwert der Nationalmannschaft. Die Qualifikation zur Europameisterschaft ist in eindrucksvoller Manier gemeistert. Darauf, dass in Polen und der Ukraine die Gruppengegner Dänemark, Portugal und die Niederlande warten, kann man mit Gelassenheit schauen. Das Team von Jogi Löw wird international als Favorit auf den Titel gehandelt – schließlich hat man 2011 nicht nur eine Rekord-Qualifikation abgelegt, sondern auch den fünffachen Weltmeister Brasilien geschlagen und mit den Niederlanden, den WM-Finalisten 2010, deutlich abserviert.

Auch im Vergleich der europäischen Top-Ligen hat sich die Bundesliga verbessert und in der UEFA 5-Jahres-Wertung Rang drei erobert. In der laufenden Saison haben, mit dem Deutschen Meister aus Dortmund und Mainz 05, zwar schon zwei Mannschaften international die Segel streichen müssen, dennoch ist die Bundesliga weiterhin gut vertreten. Darüber hinaus wirkt die Liga in Deutschland ausgeglichener als die Ligen in Spanien und England, in denen wenige Mannschaften nach Belieben dominieren.

Nationalmannschaft und die deutschen Vereinsmannschaften sind geprägt von einer Vielzahl aufstrebender Talente aus dem eigenem Land. Die einerseits spektakuläre, aber andererseits auch reife Spielweise, durch die diese jungen Spieler auffallen, ruft vielerorts die Bezeichnung „Goldene Generation“ hervor. Darin spiegelt sich die gute Jugendarbeit in den Verbänden und Vereinen wider, die sich auch in den zahlreichen Titeln der deutschen Auswahlmannschaften zeigt.

Der Zusatz „Goldene Generation“ bedeutet allerdings auch, dass die Erwartungen an diese Spieler besonders hoch sind. Vergoldet werden soll das Talent, Titel sind der Maßstab. Das stellt eine Bürde dar, die Vorschusslorbeeren müssen bestätigt werden. Viele versierte Spieler konnten die Gunst, in guten Formationen zu spielen, nicht in zählbare Erfolge ummünzen. Man denke nur an die „Goldene Generation“ der Portugiesen um Luis Figo, Rui Costa und Pauleta oder etliche ambitionierte spanische Mannschaften, die ihr Potential nicht in Titel ummünzen konnten. Spieler wie Raùl, Gaizka Mendietea und Luis Enrique brachten ihrem Land nicht den ersehnten Titel. 2008 erlöste, eine von Barcelona-Spielern geprägte Mannschaft, ihre Nation und generierte den neuen Status Quo, an dem es sich im Sommer wieder zu messen gilt.

Das deutsche Team weist alle Voraussetzungen auf, einem erneuten Kräftemessen mit Spanien endlich standhalten zu können. Es gilt nur das Potential auch auszuspielen. Und dieses Potential ist erstaunlich. Der Kader der Nationalelf weist eine breit gefächerte Qualität auf. Vor allem das Mittelfeld ist gespickt mit hochklassigen Spielern, die auf fünf Plätze in der taktischen Formation verteilt werden müssen. Zwei Positionen dürften Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil einnehmen. Beide gelten, auch durch ihre Erfahrung, als unverzichtbar.

Wohin aber mit dem Rest? Der besteht schließlich aus Spielern wie dem gefeierten Top-Talent Mario Götze oder dem 17,5-Millionen-Euro-Mann Marco Reus. Solange die etablierten Spieler, wie Lukas Podolski (95 Spiele, 43 Tore) und Thomas Müller (Goldener Schuh und Bester Jungspieler bei der WM 2010), ihre Leistung bringen, gibt es für jeden Spieler gute Argumente. Jogi Löw dürfte jedoch nicht nur über die Aufstellung grübeln. Er ist gefordert, ein System zu finden, das die Qualität perfekt umsetzt. Das ausgewogene 4-2-3-1 schafft die Balance zwischen offensiver Vielfalt und Absicherung durch die beiden defensiven Mittelfeldspieler. Wohin dann aber mit einem Spieler wie Toni Kroos, der kein 6er ist und dessen Platz in der offensiven Dreierkette wohl durch Özil blockiert wird? Mit Kroos könnte man das System auf ein 4-1-4-1 umstellen, würde dabei allerdings eventuell an defensiver Stabilität einbüßen. Gedankenspiele, die dem Bundestrainer überlassen bleiben. Festzuhalten ist, dass Vielfalt und Variabilität zu den Vorzügen der aktuellen Auswahlmannschaft gehören. Die Zeiten in denen sich das Spiel an einer Person aufgerichtet hat, scheinen vorerst passé.

Für einige Spieler könnte die „Goldene Generation“ zu einer bedauernswerten Sackgasse werden. Spieler wie André Schürrle, Lewis Holtby oder die Bender-Brüder Lars und Sven liefern für ihre Vereine konstant hervorragende Leistungen ab, verlieren aber im Überangebot der Nationalmannschaft etwas an Bedeutung.

Die „Goldene Generation“ des deutschen Fußballs bringt augenscheinlich auch eine „Verlorene Generation“ mit sich. Die Spieler nämlich, die nicht aus dem Schatten der anderen hervortreten können, obwohl sie eigentlich das Vermögen dazu hätten.

Das Dilemma für sie besteht darin, trotz vorhandener Qualität, durch die große Konkurrenz momentan schlechte Aussicht auf einen Platz in der Nationalelf zu haben. Die Zwillinge Lars und Sven Bender sind kurioserweise auch noch Rivalen auf der selben Position. Beide wird man wohl nie zusammen in der Nationalmannschaft auflaufen sehen.

Es darf mit Spannung verfolgt werden, wohin der Weg dieser jungen Spielergeneration führt. Auch wenn sie es am Ende nicht zur Vergoldung bringt, wird man sich mit Sicherheit an sie zurück erinnern und an den erstklassigen Fußball, den sie gespielt haben.

von Bernd Küchler

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